10.11.06

22. Referendum gegen die 5. IVG Revision

Nein, Menschenrechte werden nicht nur in Nordkorea mit Füssen getreten. Auch in Mitteleuropa werden behinderte Menschen „in Lagern weggesperrt, in denen sie ein Leben unter «unmenschlichen Bedingungen» fristen.“ (Der Bund 20.10.06) Diese Lager werden meistens mit lächerlich-zynischen Namen als „Heime“ bezeichnet. „Heime“ heissen sie deshalb, weil es den Angehörigen, und allen Geldgebern (das heisst: allen Steuerzahlern) und – anfänglich – sogar den Betroffenen selbst vorgetäuscht werden soll, dass sie im Lager wohlgeborgen und zufrieden ihr Dasein fristen. Über meinen blutigen Kampf, dem Lager und der Bevormundung zu entrinnen um endlich selbstbestimmt zu leben, habe ich schon in meinen ersten Blogbeiträgen berichtet.
Nun ist es aber so, dass in der Schweiz das Wohnen in einem Lager meistens einher geht (oder ging?) mit einem Dasein in einem Arbeitslager, in einer geschützten Werkstatt nämlich (So können die Lagerchefs eine noch sattere Rechnung an die IV stellen. Die IV zahlte ja alles.
Alles?
(Alles im Lager wurde – sehr grosszügig – von der IV finanziert!).

So erinnere ich mich an einen Vorfall vor etwa 11 Jahren: ich war seit etwa einem Jahr in Zürich und wollte lieber ein bisschen ausserhalb der Stadt wohnen. An ein selbstbestimmtes Leben dachte ich damals noch nicht. Darum erkundigte ich mich bei einem Besuch in einem Heim in X, ob ich evtl. dort wohnen könnte. Das erste, was die Heimleiterin wissen wollte: „Was können Sie arbeiten?“ Ich wunderte mich sehr und entgegnete ihr, dass ich keineswegs hier arbeiten möchte. Einer Beschäftigung würde ich bereits nachgehen, ich würde nämlich an der Uni studieren. Folglich wäre ich lediglich an einem neuen Wohnplatz interessiert. Darauf meinte die gute Frau: „Ja, in diesem Fall können Sie nicht zu uns kommen. Bei uns ist nämlich Voraussetzung, dass man in unserer Werkstatt arbeitet.“ Darauf schwieg ich. Zu meinem Herzen aber sprach ich: „Ungerecht ist die Welt. Wie kann es nur möglich sein, dass man mich so dreckig behandelt. Wie kann es sein, dass man mich – anscheinend ohne Gewissensbisse - in ein Arbeitslager zu einem Stundenlohn von 2.80 Fr. zwingen will?“ Angeblich sollen Behinderte, laut der Behindertenversorgungsindustrie dort gerne, und freiwillig „arbeiten“.
Alle Behinderte?
Mitnichten!
In einem solchen Arbeitslager werden Menschen zugrunde gerichtet. Ja, auch in der Schweiz und nicht nur im fernen Nordkorea. Existenzen werden regelrecht kaputt gemacht: ihnen wird ihr Selbstbewusstsein gestohlen, ihnen wird der Mut genommen, sich in dem Spiegel zu betrachten und sich mit der linken Hand auf die Schulter zu klopfen. Ihnen wird ständig vor Augen geführt, dass sie ja nur ein Häufchen Elend sind…
Zwar werden unendlich viele Existenzen kaputt gemacht, aber… aber… immerhin wird damit auch etwas Anderes gemacht, etwas „Gutes“, etwas „Sinnvolles“ nämlich: viele äusserst interessante und sehr gut bezahlte Jobs für so viele Pseudo–Sozialen… Zwar schade, wirklich schade für den armen Tropf, aber gut, sehr gut für die Behindertenversorger.
Dank der leider erst demnächst in Kraft tretenden NFA sollen solch krasse Menschenrechtsverletzungen in der Schweiz nicht mehr so leicht über die Bühne gehen. Gott sei Lob und Dank!
Mit der neuen IVG Revision will man „die geschützte Werkstatt“ und somit auch „das Fristen in einem Lager“ nun zum eisernen Gesetz für alle Behinderten erheben und zum unumgänglichen „Schicksal“ machen. Unter dem Vorwand der Scheininvalidenbekämpfung wurde vor Kurzem eine neue Revision der IV mit grossem Mehr verabschiedet. In Wahrheit geht es viel mehr um die Aufrecherhaltung von Jobs, die eigentlich abgeschafft werden sollten. Wie gesagt: ein Jammer für die Elenden, aber sehr gut für Andere. Die Behindertenversorgungsindustrie ist sehr zufrieden und die Rechtsradikalen sind auch froh, dass man endlich das Phantasma „Scheininvaliden“ zu bekämpfen versucht (oder wenigstens: zu bekämpfen vorgibt). Alle sind also hochzufrieden, was will man da noch mehr?
Sind wirklich alle hochzufrieden? Auch die Elenden? Jene, die dann ins Arbeitslager gezwungen werden?
Das ist doch einerlei. Diese haben gefälligst die Schnauze zu halten und schön unterwürfig tief, ganz tief in den A… ihrer Versorger zu kriechen.
Die einzige Möglichkeit für uns Behinderte, die nicht mit der IVG-Revision einverstanden sind und damit nicht Leben können, besteht darin, dass wir unser Referendum mit Erfolg erreichen können und die anschliessende Volksabstimmung gewinnen . Ansonsten sehe ich für meine Zukunft schwarz. Möglicherweise gibt es Behinderte, die um ihre Zukunft keineswegs besorgt sind und die keinen Grund zum Ärgernis sehen…es mag auch Behinderte geben, die sind gerne in einem Lager und werden dort gerne zur „Arbeit“ (die ja effektiv gar keine Arbeit ist, für 2.80!) gezwungen. Das ist aber nicht der Punkt. Es geht nicht darum ob Menschen sich mit der Situation abfinden können oder nicht, noch geht es darum, ob sie dort zufrieden oder glücklich sind, oder eben nicht. Es geht dabei um Menschenrechte. Und diese werden bei dieser Revision klar verletzt.

…Aber ohne mich . Ich kann die Perspektive in einer geschützten Werkstatt „arbeiten“ zu müssen und das Wissen, dass eine ganze Generation von Behinderten noch mehr Blut schwitzen muss, nicht ertragen. Darum ist mein Entschluss felsenfest: im Fall eines erfolgslosen Referendums, werde ich zum Flüchtling, ich werde um Asyl in einem behindertenfreundlicheren Land suchen!
Das würde natürlich nicht schön sein, denn eigentlich lebe ich sehr gerne in der Schweiz und fühle mich auch als Schweizer. Darum möchte ich auch alle Leserinnen und Leser zur Unterschrift unter das Referendum aufrufen! Es geht um die Wurst! Nicht nur für mich, sondern für eine ganze Generation von Behinderten.