3.9.10

79. Mein Einsatz für Selbstbestimmung

Neulich wurde ich darauf hingewiesen, dass es gut für meine psychische Gesundheit wäre, mich vom Thema „Behinderung und Diskriminierung“ zu lösen und ein bisschen Abstand zu gewinnen. Falls ich immer so engstirnig die Sache sähe, würde es mich eines Tages noch in den Wahnsinn treiben. Diese wohlmeinenden Worte fielen sicherlich auf Grund einer guten Beobachtung, waren gut platziert.
Mich davon lösen kann ich aber nicht. Denn das Thema, das dabei angesprochen wird, bin ich ja selber. Die Behinderung ist nicht nur ein wesentlicher Teil von mir: Ich bin meine Behinderung bzw. ihre Diskriminierung. Meine Behinderung ist meine Ehepartnerin.
Wenn ich zurückschaue, wie viel Behinderte, allen voran das Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, in den letzten paar Jahren erreicht haben, dann bin ich noch mehr veranlasst, daran mitzuarbeiten und darauf zu hoffen, dass Behinderte von morgen eines Tages glücklich werden können. Ich fühle mich wie ein Gärtner, der ebenfalls seine Tätigkeit unter dem gleichen Motto erfüllt: Wir sähen, damit es übermorgen reiche Ernte gibt. Ein sinnvolles Beispiel dafür: Im Zentrum wurde schon vor zehn Jahren die konkrete Idee eines Assistentenbudgets diskutiert. Das ist eine direkte Auszahlung des Geldes an die Behinderten auf das Konto der Person, welche Assistenz benötigt. Der Behinderte soll mit dem Geld rein theoretisch machen, was er will. Diese im Ausland schon jahrelang praktizierte Finanzierung wurde von juristisch Denkenden in der Schweiz damals noch belächelt, Heute ist die Idee für viele bereits Realität. Viele Behinderte, allzu viele, werden aber noch sehr stark diskriminiert, und ihre Ausschliessung vom Leben begegnet einem auf Schritt und Tritt. Aber historisch gesehen, d.h. wenn ich das Leben von Behinderten heute mit jenem vor noch fünfzig oder gar hundert Jahren oder noch früher vergleiche, so ist ein grossartiger Fortschritt zu erkennen. Und wenn ich noch einen Blick in die Zukunft wage, so schöpfe ich daraus all meine Motivation für einen Kampf für ein selbstbestimmtes Leben.